Freiheit neu leben - Teil III - Meine Freiheit Nr. 4
Zwei Städte haben mir zum Beginn meiner Reisen im Sommer 2022 die Bedeutung und den Wert einer lebendigen Demokratie noch einmal auf dramatische Art und Weise verdeutlicht. Anfang August habe ich mich auf den Weg gemacht, einen ehemaligen Arbeitskollegen in der Nähe von Krakau (Krakõw) zu besuchen. Krakau ist eine vom 2. Weltkrieg tief geprägte Stadt. Vor dem Krieg hatte es eine bedeutende und lebendige jüdische Gemeinschaft.
1939 war rund 60.000 der 250.000 Einwohner Juden. 1945 zählte man noch 500 Juden! Auch in Krakau wurde ein Getto errichtet und mit der «Sonderaktion Krakau» und gleich zu Beginn des Krieges Professoren, Lehrer und sonstige Intellektuelle verhaftet und deportiert.
Berühmt geworden ist Krakau auch durch die Rettungsaktion von Oskar Schindler – verfilmt von Steven Spielberg in «Schindlers Liste».
Die ehemalige Emaille Fabrik Schindlers ist heute eine Gedenkstätte, in der das Leben in Krakau während der Kriegsjahre dokumentiert wird.
Im Zentrum der Ausstellung stehen die perfide Diskriminierung, Verfolgung und Tötung der jüdischen Bevölkerung aber auch allen Polen, die gegen die Besatzer Widerstand leisteten.
Die zweite Stadt, die tiefe Eindrücke hinterlassen hat ist Verdun.
Verdun steht als Synonym für eine industrialisierte Kriegsführung, die die Technik erstmals über den Menschen stellte und einer Armeeführung, der es mit «Ansage» um den Verschleiss der menschlichen Kampfkraft und den Kampfeswillen ging. Ganz ohne Soldaten ging es dann doch noch nicht – nur waren sie Kanonenfutter.
Die eigenen Opfer waren Teil des Kalküls!
Die Sinnlosigkeit, das unglaubliche Ausmass menschlichen Leids ist mir beim Besuch der Gedenkstätte Mémorial de Verdun,
den Überresten des Forts Douaumont, dem Ossuarie de Douaumont (Beinhaus) und den unzähligen Kriegsgräberstätten in der Region wie noch nie zuvor deutlich geworden.
Am Ende des Besuchs vom Mémorial wird jeder Besucher gefragt, ob er etwas in das Gästebuch schreiben möchte. Ich fühlte mich kurzzeitig überfordert. Dann habe ich mich entschlossen, folgenden Gedanken zu hinterlassen:
"Wenn Männer an Schreibtischen millionenfaches Leid über ihr Volk bringen können - wie es hier bedrückend eindrücklich gezeigt wird - und Verdun steht stellvertretend für all die anderen unsinnigen Kriege - ist mir die Bedeutung einer vitalen Demokratie klarer denn je geworden." Das Team der Gedenkstätte antwortete mir mit folgender Geschichte:
Es ist noch nicht vorbei!
Erfahren Sie die Geschichte des deutschen Arztes Benno Hallauer, der 1916 als Freiwilliger zum Ärztestab im Fort de Douaumont stieß.
Seit zwei Tagen befindet sich der deutsche Arzt Benno Hallauer im Fort de Douaumont. Er hat sich gemeldet, um im Lazarett zu helfen. Tag und Nacht werden dort die vielen Verwundeten versorgt, die man in die Galerien des Forts gebracht hat. Trotz der harten Lebens- und Hygienebedingungen ist das Fort ein sicherer Hort, wie ein unsinkbares Schiff mitten im Sturm.
Am Morgen des 8. Mai 1916 alarmieren beunruhigende Rufe aus den unteren Gängen den Arzt. Dann ertönen Schüsse, als man plötzlich riesige Explosionen hört, denen mit großer Wucht eine fürchterliche Druckwelle folgt. Die gesamte Kaserne des Forts bebt! Was war geschehen?! Im Schock, aber immer noch klardenkend stürzt sich Hallauer an den Ort der Katastrophe, der unter dichtem Rauch liegt. Er sieht nichts, stolpert über Körper, bevor er erstickt durch Gase zusammenbricht. Er wird aus dem Fort gebracht, kehrt jedoch wieder zurück, entschlossen, so viele Leben wie möglich zu retten. Nachdem sich der Rauch verzogen hat, wird er sich des Ausmaßes der Katastrophe bewusst: Neben hysterisch schreienden Soldaten, die durch die Explosion irrsinnig geworden sind, sieht er viele Leichen, einzeln oder aufeinander liegend, manche zerstückelt, andere unversehrt und wie plötzlich im Tod erstarrt... Dennoch gibt es Überlebende, Benno Hallauer leistet erste Hilfe und kümmert sich um die Evakuierung der Verletzten. Er kämpft, um Hunderte von Leben zu retten...
Nach mehreren Stunden erschöpfender Arbeit schätzt Hallauer, dass die Explosion 700 bis 800 Leben gekostet hat... Seiner Meinung nach ist ein französisches Munitionslager mit Granaten, das sich in den unteren Galerien befand, explodiert. Der Ursprung dieser Detonation bleibt unsicher: ein Unfall? Eigenbeschuss zwischen deutschen Soldaten, die einen französischen Angriff vermuten?
Das Fort de Douaumont bleibt geprägt von dieser Katastrophe, aber nichts erinnert an den Einsatz des Stabsarztes Hallauer. Trotz seines Mutes, mit dem er das Leben seiner Landsleute rettete, verschwindet er 1943 in Auschwitz und wird von den Nazis ermordet, die in diesem Mann nur einen Feind des Volkes und die "Rasse" sahen, denn er war Jude...
Und doch hat er seinem Land großen Dienst erwiesen...
Mit dem letzten Satz dieses sehr persönlichen Schicksals bin ich aber nicht ganz so «glücklich». Es spiegelt auch ein wenig die Sicht der Franzosen auf die Ereignisse.
Auf bedrückende Weise knüpft diese Geschichte von Benno Hallauer an meinen Besuch in Krakau an.
Für Frankreich ist es eine Heldengeschichte. Aus meiner Perspektive war und ist es eine grosse Tragödie für beide Völker, aus der leider nichts gelernt wurde (ausser militärstrategisch – wie der Verlauf des 2. Weltkriegs belegt hat).
Gerade im Angesicht des Krieges in der Ukraine stellt sich mir die Frage, wie gut sind wir eigentlich für das 21. Jahrhundert gewappnet und haben wir wirklich aus der Geschichte gelernt?
Wenig später habe ich dem Gespräch zwischen Gabor Steingart und Udo di Fabio über die Rolle von Freiheit in unserer Gesellschaft gelauscht.
Auch wenn es oft schwer ist, sich die Zeit zu nehmen, um 30, 40 oder gar 60 Minuten einen Podcast zu hören. Allen, denen die Freiheit am Herzen liegt, möchte ich diese Podcast-Folge sehr ans Herz legen!
Viele dachten wohl – genau oder so ähnlich wie ich – dass nach dem Ende des «kalten Krieges» und der deutschen Wiedervereinigung die Welt in Ordnung sei und wir uns der ökonomischen und ökologischen Optimierung der widmen können. Wobei «konzentrieren» wohl mehr auf den ökonomischen Teil zutrifft. Und da liegt auch ein wenig der «Hase im Pfeffer». Ich kann mich als Land nämlich ökonomisch auch gut zu lasten oder gegen die Interessen anderer Länder optimieren. Ökologisch funktioniert das – gerade beim Klima – gerade nicht.
Und so dürften auch die Haupttreiber der weltweiten Konflikte in den letzten 30 Jahren überwiegend ökonomische Hintergründe haben.
Das mit der Ökologie – ein für die meisten doch eher ein abstraktes Thema - sollte so mit erledigt werden. Und schliesslich trennen wir ja den Müll ordentlich und eine Energiesparlampe ist uns ja verpflichtend verordnet worden.
Ach ja. Das mit der Demokratie läuft auch – selbst engagieren – eher nicht – ist mühsam und hält uns vom Geldverdienen ab (zumindest dauert es schon sehr lange, bis man sich durch die Parteihierarchien an den Futternapf vorgearbeitet hat).
Die verschiedenen Krisen der vergangenen Jahrzehnte – alle hausgemacht und prognostiziert – haben unsere Gesellschaft zwar aufgeregt, jedoch im Kern kaum verändert. Business as usual eben!
Aufgrund unserer guten ökonomischen Verfassung – der Nachkriegsgeneration – und Gerhard Schröders Agenda – sei Dank, konnten alle direkten Folgen bisheriger Krisen so weit kaschiert werden, dass niemanden ungemütlich kalt oder warm wurde.
Und plötzlich – natürlich passiert geopolitisch nichts plötzlich…das Plötzliche daran sind Ereignisse, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken… wird heiss diskutiert, wie wir unsere Energieversorgung neu organisieren und unsere wirtschaftlichen Risiken im Handel mit China begrenzen können. Wobei in Sachen China bei weiten Teilen unserer Industrie «der Zug den Bahnhof schon verlassen hat»! Stichwort Automobil, Chemie, Maschinenbau…
Was wahrscheinlich viele noch nicht bemerkt haben (Wolfgang Grupp schon – siehe Podcast Gabor Steingart von letzter Woche) – bitte verzeiht mir den Begriff – wir führen schon längst wieder einen «Zwei-Fronten-Krieg».
Die USA haben schon vor vielen Jahren, beim Kampf um die Vormachtstellung in der Welt, einen «bedingungslosen Krieg» erklärt und Europa wird in diesem Kampf nicht nur als Verbündeter gesehen und behandelt.
Wollen wir als Nation unsere relative Unabhängigkeit, Freiheit und unseren Wohlstand erhalten (ein weiterer Ausbau ist unter den aktuellen Vorzeichen eher unrealistisch), braucht es in den kommenden Jahrzehnten etwas mehr als einen «Ruck durch unsere Gesellschaft» den seinerzeit Roman Herzog eingefordert hat.
Unser Land braucht eine gute Strategie und eine konsequente Umsetzung, an der mindestens 60 % unserer Einwohner aktiv mitgestalten.
Damit dies gelingen kann, sehe ich zwei Grundvoraussetzungen:
1. Menschen in unserem Land, die das Gemeinwohl gleich hoch gewichten, wie
ihr persönliches Wohl. Wenn beides nicht im Einklang ist, sollten wir nicht
zufrieden sein.
2. Eine Politik und - ganz wichtig – eine Bürokratie, die diese neue Verant- wortung für das Gemeinwohl auch zulässt, unterstützt und Wege ebnet, anstatt neue Hürden zu erfinden, Vorgaben inflationiert und Eigenverant- wortung abwürgt.
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